Der Solitär – zum Tod des großen Schauspielers William Hurt (2024)

Man wusste wenig über ihn, man stellte ihn sich so vor wie die Männer, die er verkörperte: den mürrischen Reiseschriftsteller wider Willen in „Die Reisen des Mr. Leary“ (1988), den somnambulen Schriftsteller in „Smoke“ (1995), den versehrten Kriegsveteranen und Drogendealer in „Der große Frust“ (1983), sogar jenen Luis Moreno in „Der Kuss der Spinnenfrau“ in Hector Babencos Film, für dessen Darstellung er 1986 den Oscar bekam. William Hurt spielte verletzliche, empfindliche Intellektuelle, Autoren und Wissenschaftler – vielleicht war er der einzige amerikanische Schauspieler, der solche Männer spielte, denn seit Hurt im Kino erschienen war, suchte man keine anderen mehr.

William Hurt in „Gorky Park“:

William Hurt, am 20. März 1950 in Washington D.C. geboren, hatte spät seine erste Rolle in einem Film, die aber in einem spektakulären: in Ken Russells „Der Höllentrip“ (1980). Der Originaltitel „Altered States“ ist wie das Motto für das Schauspiel William Hurts, nur dass Ken Russell es in diesem Film ganz auf psychedelische Effekte abgesehen hat und nicht auf die feinen seelischen Verschiebungen und Verästelungen, die Hurt im Laufe seiner Karriere zeigte. Schon hier ist er ein Wissenschaftler, dessen soziale Bindungen von der Leidenschaft für seine Forschungen gefährdet werden.

Hurt wurde seit 1973 an der Juilliard School in New York City unter der Leitung des berühmten Theaterregisseurs John Houseman ausgebildet. Dass er in derselben Klasse war wie Robin Williams und Christopher Reeve, wird immer wie anekdotisch vermerkt, weil die drei Schauspieler so verschiedene Wege gingen, die sich niemals kreuzten. In Off-Broadway-Stücken machte Hurt als „sensibler, introvertierter junger Mann“ langsam auf sich aufmerksam.

William Hurt in „Der große Frust“:

Nach „Altered States“ wurde Hurt von Lawrence Kasdan für „Body Heat“ verpflichtet. Kasdan hatte das Drehbuch für den zweiten „Star Wars“-Film geschrieben und Steven Spielbergs „Raiders of the Lost Ark“ – „Body Heat“ war seine erste Regiearbeit, eine Hommage an den Film noir, nicht gerade eine kommerzielle Entscheidung zu Beginn der 80er-Jahre. Die unwahrscheinliche Liebschaft von Kathleen Turner und William Hurt macht die Scharaden umso glaubwürdiger, in die sich Hurt in der Tradition der Noir-Filme von Otto Preminger und Billy Wilder verrennt: Er scheitert daran, dass er seine Gefühle nicht zerebral kontrollieren kann. Und dem Anwalt Ned Racine wohnt auch jenes merkwürdige Phlegma inne, dass typisch ist für die Solipsisten, die Hurt fortan spielte.

In Michael Apteds „Gorky Park“ (1983) ist er ein Moskauer Polizist, der in Mordermittlungen verwickelt wird und darüber zum Mann der Tat wird. Mit der ihm eigenen Mischung aus Jähzorn und Stoizismus verteidigt er eine Russin und verbündet sich mit einem amerikanischen Polizisten, er krault in einem alten Schwimmbad und nimmt es mit dem sinistren Zobelhändler Lee Marvin auf. William Hurts Figuren können es einfach nicht leiden, wenn ihnen jemand sagt, was sie zu denken haben. In Lawrence Kasdans „The Big Chill“ (1983) ist er der Außenseiter in einer Clique von College-Freunden, die nach dem Selbstmord des noch größeren Außenseiters für ein Wochenende noch einmal zusammenfinden. In Vietnam verwundet, als Radiomoderator verbittert und jetzt ein quecksilbriger Drogendealer mit Sportwagen, ist Hurt die rätselhafteste Gestalt in dem Ensemblefilm. Und er kriegt das Mädchen.

Mit „Kuss der Spinnenfrau“ (1985) begann die Serie von Oscar-Nominierungen. Für seine idiosynkratische Darstellung in dem komplizierten Film (geschrieben von Leonard Schrader nach Manuel Puigs Roman) bekam Hurt den Preis sozusagen auf Anhieb; für die offensichtlicheren Rollen in „Gottes vergessene Kinder“ (1986) und „Broadcast News“ (1987) wurde er nominiert. In Lawrence Kasdans „The Accidental Tourist“ (nach dem Roman von Anne Tyler) ist er ein Mann, der den Schmerz über den Tod seines Sohnes in sich verschlossen hat und mechanisch Reiseführer für unlustige Geschäftsreisende schreibt. Etwas klischeehaft verliebt er sich in die laute Hundetrainerin Geena Davis, die ihm aber auch ganz schön auf die Nerven geht. In „I Love To Her Death“ ist Hurt nur der Sidekick von Kevin Kline, dem anderen Lieblingsschauspieler von Lawrence Kasdan.

Der Solitär –zum Tod des großen Schauspielers William Hurt (1)

William Hurt spielte in Woody Allens „Alice“ (1990), einemsentimentalen Märchen für Mia Farrow, und dann in Wim Wenders‘ „Bis ans Ende der Welt“ (1991), da als das Alter ego des Regisseurs wohl ganz richtig besetzt. Neben Harvey Keitel ist er in Wayne Wangs „Smoke“ (1995) einen Schriftsteller, der mit den Zufällen des Lebens konfrontiert wird, die er ausschließen wollte. Ein Einbruch in seine Wohnung ist der Zusammenbruch seiner prekären Ordnung.

Unmerklich wurden die Hauptrollen in Chantal Akermans „Eine Couch in New York“ (1996) mit Juliette Binoche und „Familiensache“ (1998) von größeren Nebenrollen, etwa in „Michael“ mit John Travolta, abgelöst. Hurt spielte in der Miniserie „Dune“ (2000) in Spielbergs „A.I.“ und in M. Night Shyamalans Mystery-Thriller „The ViIlage“ (2004). In David Cronenbergs „A History of Violence“ (2005) ist er ganz in seinem Element und wurde noch einmal für einen Oscar (für eine Nebenrolle) nominiert. Die Schauspielerkollegen Robert De Niro und Sean Penn verpflichten Hurt für ihre Filme „The Good Shepherd“ (2006) und „Into The Wild“ (2008).

Zwar beklagte Hurt, dass es beim Film an großen Rollen mangele, weshalb er wieder am Theater spielte, doch in Serien fand er eindrucksvolle kleinere Parts: in „Damages“ (2009) mit Glenn Close, in „Goliath“ (2016) neben Billy Bob Thornton als Schattengestalt mit entstelltem Gesicht, zuletzt in „Condor“ (2018). Nachdem Hurt 2008 unwahrscheinlicherweise in Louis Letteriers „Der unglaubliche Hulk“ erschien, spielte er in drei „Avengers“-Filmen in einer illustren Schar berühmter Schauspieler den Außenminister Thaddeus „Thunderbolt“ Ross. Und zeigte noch einmal die Kunst seiner verkapselten, am Ende wohl untröstlichen Renegaten der Existenz.

Gestern starb William Hurt, der Schauspielsolitär seiner Generation, im Alter von 71 Jahren in Portland/Oregon.

Randall Michelson WireImage

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